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Pfarrer Kreitmeir: „Wir brauchen Menschen, deren Seelen im ‚das Maul aufmachen‘ gelehrt wurden“

In seiner Auslegung  zum heutigen Sonntagsevangelium (Lk 11,1-13) geht unser geistlicher Begleiter Pfarrer Christoph Kreitmeir, der mit einer weiteren Predigt dazu heute auch auf katholisch.de zu lesen ist, auf den Wert von Gebet und Bekenntnis ein, die beide zur Natur des Menschen gehören und nicht unterdrückt werden sollten.

Hier die Worte seiner Predigt:

Mit dem Beten ist es so eine Sache. Wenn man es gelernt hat, dann hält man daran ein Leben lang fest, mehr oder weniger …
Mehr oder weniger, so zeigt es auch folgende Geschichte, die lockerleicht beginnt und nicht so lustig endet:

„Es war im Sommer. Hauptsaison. Wunderbares Wetter. In dem Urlaubsort an der Nordsee war jedes Gästebett besetzt, der Campingplatz überfüllt, der Strand voller Menschen. Nur wer Glück hatte, fand zur Mittagszeit einen freien Tisch in den übervollen Restaurants.
Der Familie M. blühte am ersten Urlaubstag – nach einer ungemütlichen Warteviertelstunde mit quengelnden Kindern und nervöser Mutter – solches Glück: vier freie Sessel an einem Tisch!
Irgendwann kam der Kellner. Irgendwann brachte er die Suppe.
„Gut“, rief der hungrige 5-jährige Sohn mit seiner hellen Stimme,
„Wir wollen beten!“ An den Nachbartischen verstummten die Gespräche.
Alles starrte auf Familie M., die vor den vollen Suppentellern saß.
Der kleine Bub mit den gefalteten Händen, die etwas ältere Schwester ebenfalls; der Vater wie erstarrt, den Suppenlöffel fest in der Hand, kurz vorm Eintauchen. Sein Gesicht wurde immer röter.
Die Mutter wagte nicht um sich zu schauen, sondern starrte auf ihren Teller. Alle Blicke der Umsitzenden waren auf Familie M. gerichtet.
Interessiert, wohlwollend, spöttisch, lächelnd, fragend …
„Los, Papa“, rief der Bub ungeduldig in die Stille hinein.
Er war hungrig und verstand die Verzögerung des sonst üblichen Tischgebetes nicht. „Soll ich heute beten?“
Da kam Bewegung in den Vater. Er beugte sich zu seinem Sohn und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Bub sah ihn überrascht an. „Warum denn nicht hier?“ fragte er laut. „Iss jetzt!“ antwortete der Vater verärgert.“

(Aus: Hug, Barbara; Sonnenschein und Regenbogen, Stuttgart 1994)

Diese Lektion wird der Bub nie mehr vergessen. Dieses Erlebnis wird sich in seine Seele einbrennen und er wird im Laufe seiner Entwicklung vom Buben zum Jugendlichen zum Mann seinem Vater und auch seiner Mutter immer weniger glauben.

Warum? Weil diese, wenn es darauf ankam, feige waren, zu feige, sich zu ihrem Glauben zu bekennen.

Nicht nur in der Situation am Tisch im Restaurant enttäuschten sie die Neugierigen und bestätigten die glaubenslosen Spötter um sie herum, sondern ein Bekenntnis zu Gott nur im geschützten kleinen Kreis der Familie und dann auch nur, wenn es passt, bringt nichts.

Ein Bekenntnis zu Gott sucht immer die Öffentlichkeit, die Ausbreitung – das liegt in seiner Natur.

Der eine oder die andere von Ihnen wird nun vielleicht etwas die Nase rümpfen und sagen, dass ich etwas übertreibe mit dem, was ich hier sage. Ich glaube nicht, dass ich übertreibe, denn Jesus selbst sagt einmal sehr deutliche Worte: „Jeder, der sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen. Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater im Himmel verleugnen.“ (Mt, 10, 32-33)

Gar nicht so der „HeiapopeiaJesus“, wie wir ihn gerne oft hätten…

Natürlich, es stimmt schon: ein Bekenntnis zum Glauben, zu Christus und dann auch noch zu der Kirche – ach herrje – fällt oft nicht leicht. Nicht selten kostet es Überwindung, wenn es darauf ankommt, sich hinzustellen und zu sagen, was zu sagen ist. Wir alle kennen die verschiedensten Ausreden, um ja nicht aufzufallen, denn das könnte ja Unannehmlichkeiten nach sich ziehen. Und wir alle kennen auch dann das Gefühl in unserem Herzen und in unserer Seele, das sich ausbreitet wie ein wabernder Nebel und alles durchfeuchtet und labbrig werden lässt. Dieses Gefühl hat mit Feigheit, Schwäche, Wegducken und Kleinheit zu tun.

Wenn wir Jesu Aussage, dass er den vor dem himmlischen Vater verleugnen wird, der ihn verleugnet, ins Psychologische übersetzen, dann zeigt sich hier ein seelisches Gesetz:

Das, was geschwächt wird, wird noch schwächer. Das, was bewusst gestärkt wird, wird stärker.

Wer dem „inneren Schweinehund“ namens Bequemlichkeit und Feigheit bewusst widerspricht, dem wachsen neue Kräfte zu, die im Laufe der Zeit den Gesamtcharakter stärken.

Duckmäuser, Schlappschwänze und Mitläufer haben wir genug. Wir brauchen Menschen, deren Seelen von klein auf im Sich-aufrichten, im Sich-hinstellen und im „das Maul aufmachen“ gelehrt wurden und die Mut anstelle von Angst einübten.

„Herr, lehre uns beten …“, bat einer der Jünger Jesu und Jesus lehrte Ihnen dann die vertrauensvollen Worte des „Vater-unser“, die wir alle mehr oder weniger von Kind auf gelernt haben. Erst im Laufe unserer Entwicklung wachsen wir in dieses Gebet hinein und erleben es als Halt und Stütze, wenn wir nicht mehr weiterwissen oder weiterkönnen. In Not, Krieg oder auf dem Sterbebett ist dieses Gebet nicht selten der letzte Halt.

„Herr, lehre uns beten…“ bedeutet nicht, dass wir Gebete wie „Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm“ herunterplappern, sondern, dass wir im Laufe unseres Lebens lernen, was uns wirklich nährt, was uns auch spirituell wirklich ernährt. Nicht Kaviar und Sekt nähren und ernähren uns, sondern vor allem Brot. Deshalb hat Jesus dem BROT so einen Vorrang im „Vater unser“ gegeben. Deshalb hat er auch BROT ausgewählt zum Zeichen seiner Präsenz auf ewig mitten unter uns im „Leib Christi“.

Beten lernen ist nichts Nebensächliches, Beten lernen, echtes Beten lernen ist lebensnotwendig und lebenserhaltend, in guten wie in schlechten Zeiten. Amen.

 

Eine weitere Auslegung zum heutigen Sonntagsevangelium von Pfarrer Christoph Kreitmeir gibt’s unter

katholisch.de