Foto: facebook.com/rainer.maria.schiessler (mit freundlicher Genehmigung von Pfarrer Rainer Maria Schießler)

Pfarrer Rainer Maria Schießler: „Christ-Sein heißt leben, lieben und leiden“

In seiner Auslegung zur Sonntagslesung (Koh 1,2; 2,21–23) und zum Sonntagsevangelium  (Lk 12, 13–21) betont der Münchner Stadtpfarrer Rainer Maria Schießler: „Jetzt leben!“

 

Anbei (mit freundlicher Genehmigung) der Impuls, den Pfarrer Schießler auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht hat:

 

Mit seinen Schlagworten wie „Es gibt nichts Neues unter der Sonne“, „alles ist Windhauch“ oder „es gibt für alles eine Zeit: Eine Zeit für die Liebe und eine Zeit für den Hass“ spricht uns der Weisheitslehrer namens Kohelet aus Jerusalem aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. aus dem Herzen, ohne eine Antwort für uns zu haben. Man erfährt eben nur, wie nahe Glück und Unglück, Freud und Leid, ja sogar Frieden und Krieg beieinander sind. Der Grat, auf dem wir uns bewegen, ist bekanntlich sehr eng und erschreckt stellt man fest, wie neben, vor und hinter uns Menschen, Freunde abstürzen. „Alles ist Windhauch!“ nennt es Kohelet unentwegt. Alles ist sinnlos! – Viel Futter für depressive Stunden!

Kohelet verzichtet bewusst darauf zu harmonisieren und zu beschönigen.

Aber gegen die Sinnlosigkeit des Lebens setzt er auch die Lebensfreude: „Nimm das Leben als ein Fest: Trag immer frisch gewaschene Kleider und sprenge duftendes Öl auf dein Haar. Genieße jeden Tag mit der Frau, die du liebst…“ (9,7ff.).

Es macht also keinen Sinn, in Traurigkeit zu versinken. Wir sagen kurz: Das Leben geht weiter. Lebe jetzt! Heute ist der Tag.

Es kann wohl kaum im Sinne einer Religion, wie das Christentum eine ist, sein, möglichst unreflektiert in den Tag hineinzuleben, das Gute zwar zu genießen und das Unglück möglichst gleichmütig zu ertragen. Das Engagement des Einzelnen, die Anstrengungen und all die Opfer, die man aufbringt, widersprechen deutlich einer allzu flachen, angepassten und billigen Daseinsbetrachtung.

Jesus von Nazareth klammert das alles auch nicht aus. Gegen die Sorge des Mannes, der schon alles hat und deswegen nicht weiß, wie er seinen Überfluss noch unterbringen soll, setzt er die Aufforderung: „Sorgt euch nicht um Morgen! Jeder Tag hat seine eigene Plage.“ Natürlich dann auch an eigener Freude und an eigenem Glück.

Es geht also darum zu lernen, den eigenen Tag auch wirklich zu leben, das Heute zuzulassen und sich mal keinen Rückblick zu gestatten.

Da ist vieles, das nicht mehr zu bedenken, zu planen und zu sagen ist, und es ist nicht viel, was das Heute wirklich hergibt oder uns belasten könnte. Ein Tagesrucksack sollte genügen, würde man konsequent die Lasten der Vergangenheit und die Sorgen der Zukunft nicht mit einpacken.

Heute ist der Tag lässt sich eigentlich in diesen Wochen der Ferien, des Urlaubs und der freien Stunden auf ganz besondere Art und Weise ausprobieren.

Man erlebt, wie der Sinn des Lebens nicht allein im Erfolg und in der Leistung zu finden ist, sondern eher im Loslassen.

Trotz allem Heute und der Versuche loszulassen, bleibt den Menschen die Sehnsucht. Der leidenschaftlichen Suche und dem Sinn des Lebens kann man sich auf Dauer nie vollständig entziehen. Mitten in dieser Suche und der möglichen Vergeblichkeit darin rät der Weisheitslehrer: „Nimm das Leben als ein Fest!“ Es geht ihm um die Gefühle, die zugelassen werden dürfen, die erlaubt sind, ja die angeraten werden, damit nicht ein falscher Stau unsere Lebensregungen unterdrückt. Ebenso gilt es, sich nicht an Gefühle zu verlieren. Auch sie gehen vorüber und gleiten dahin wie Papierschiffchen auf einem Fluss. Wer sich krampfhaft an die Liebe klammert, wird genauso scheitern wie einer, der seinen Hass nicht loslässt.

„Wer mein Jünger sein will, der nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach“, sagt Jesus. Also: sein Kreuz, und nicht alle Kreuze der Welt, auch nicht die von vorgestern und übermorgen. Wer sich mit seinem Kreuz zufrieden gibt, der erfährt, was Jeus auch verheißt: Mein Joch drückt nicht, und meine Last ist leicht.“

Christsein heißt demnach ausschließlich: leben, lieben und leiden – und das alles solidarisch.

Amen.