Riccardo Muti: „Mozarts ‚Ave Verum Corpus‘ gibt eine transzendentale, metaphysische Intuition wieder“

Der italienische Dirigent Riccardo Muti, der eine Vielzahl renommierter Orchester wie das New Philharmonia Orchestra London, das Philadelphia Orchestra, das Chicago Symphony Orchestra und die Wiener Philharmoniker dirigierte und dirigiert, ist davon überzeugt, dass Schönheit die Welt retten kann.

Riccardo Muti lebt in Ravenna und leitet dort die Italian Opera Academy. Beim „Ravenna Festival“, das vor 30 Jahren von seiner Frau Cristina Mazzavillani Muti gegründet wurde und aktuell stattfindet, führen seit vielen Jahren „Wege der Freundschaft“ in vom Krieg verwundete Städte. Ziel ist es, „Brücken der Brüderlichkeit zu bauen“ – von Sarajevo Ende der 90er Jahre während des Krieges in Bosnien bis nach Beirut, Jerusalem und New York nach dem 11. September.

Wie euronews.com aktuell berichtet, sieht Riccardo Muti in der Kunst „viel mehr“ als Unterhaltung. Dazu betont der 80-Jährige mit Blick auf den Kirchenvater Augustinus, dass dessen „außergewöhnlicher Satz“ mit den Worten „Forma pulchritudinis est unitas („jede Form von Schönheit bedeutet Einheit“) bedeute, „dass Schönheit – Beauty – mit großem B für Einheit, Brüderlichkeit, Harmonie“ stehe und  „die perfekte Zusammenfassung der Bedeutung unserer Reisen“ sei.

Zu den klassischen Musikstücken des Orchesters unter der Leitung von Riccardo Muti gehört Mozarts „Ave Verum Corpus“, das nach Auffassung von Muti höhere Sphären erfahrbar macht, was er wie folgt darlegt:

„Ich glaube, dass dieses kurze Werk von Mozart eine transzendentale, metaphysische Intuition wiedergibt, für alle Gläubigen, egal welcher Religion. Sogar die, die nicht gläubig sind, können in diesen Noten eine Botschaft großer Gelassenheit finden.“

 

Dass er sein Leben selbst in Verbindung zum Göttlichen sieht, ließ Muti im Januar 2020 im Interview mit dem österreichischen Magazin Profil erkennen, wo er seine Zeit in Chicago als „Geschenk Gottes“ bezeichnete.

Ausführlicher zu seinem Glauben äußerte sich Riccardo Muti im Dezember 2015 im Interview mit dem Münchner Merkur und im November 2014 im Interview mit dem Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien.

Mit dem Münchner Merkur sprach Muti über die Religiosität des von ihm sehr geschätzten Komponisten Luigi Cherubini (1760–1842), der gläubiger Katholik war. Diesbezüglich betonte Muti:

„Katholisch zu sein, heißt ja nicht, dass man das Leben nicht genießen darf.“

Dies zeige sich mitunter auch in den Werken von Cherubini. Außerdem erklärte Muti, dass die Italiener auf eine andere Art und Weise mit Gott sprechen als in anderen Ländern, wo sich „der Kontakt zu Gott in einer sehr respektvollen, ehrfürchtigen Weise“ ausdrücke. So gestalte sich die Friedensbitte der Italiener als eine Forderung. Dazu erklärte der italienische Dirigent:

„Wir Italiener sprechen dagegen zu ihm so: ‚Ich gehöre zu Dir, Du gehörst aber auch zu mir. Du trägst die Verantwortung, Du musst mich beschützen, schließlich hast Du mich geschaffen.'“

Auf diese besondere Gebetspraxis ging Riccardo Muti auch im Interview mit dem Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien ein, wo er das Verhältnis der Italiener zu Gott wie folgt darlegte:

„Wir reden zu ihm, als wäre er einer von uns, in einem direkten Gespräch. Und wenn wir nicht bekommen, was wir wollen, dann schreien wir ihn an.“

„Dieses sehr italienische Verhältnis des Menschen zu Gott und dem Jenseits“ komme auch im Requiem des italienischen Komponisten Giuseppe Verdi (1813 – 1901) zum Ausdruck. Dazu erklärt Riccardo Muti:

„Wenn die Sopranistin das „Libera me, Domine, de morte aeterna“ singt, dann tut sie das beim ersten Mal im Forte, beim zweiten Mal wird sie noch aggressiver: „Wirst du mich nun befreien oder nicht?“ Beim dritten Mal ist es fast ohne Hoffnung – einer der unglaublichsten Momente in der Musik überhaupt.“

So stehe an dieser Stelle ungewöhnlicher Weise ein C-Dur-Akkord, der im Regelfall „eine Tonart der Heiterkeit, des Friedens, des Lichts“ sei, bei Verdi aber „voller Zweifel“ klinge.

Verdi sei aber ein Mensch gewesen, der „an ein Jenseits“ geglaubt habe. Ohne dieses Glauben „wäre es ihm unmöglich gewesen, diese seine Opern zu schreiben“, ist sich Muti gewiss.

Zweifel sei auch für ihn persönlich „wichtig“ in seinem Zugang zu Gott, berichtete Riccardo Muti auf die entsprechende Nachfrage. Selbst der Papst sollte seiner Meinung nach zweifeln. „Ein Papst ganz ohne Zweifel“ wäre ihm „sehr verdächtig“, so der Dirigent. [Anmerkung: Papst Franziskus erklärte im März 2017 in einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit, dass er tiefen Zweifel an Gott kenne (Quelle: kirche-und-leben.de)].

Als Atheist hingegen könne man das Requiem aber nicht dirigieren. Diesbezüglich betont Muti:

„Leute, die gar nichts glauben und überzeugt sind, dass nach dem Tod alles aus ist, können meiner Meinung nach den Text und die Musik nicht wirklich verstehen.“

Es brauche zumindest die Gewissheit, „dass wir Teil sind der Energie des Universums“ oder aber „dass unser Körper das Gefäß ist für etwas, das dem Universum gehört“. In diesem Kontext betont der renommierte Dirigent:

„Wir sagen Dio, God, Gott, Buddha, Allah, Jahwe – aber das zeigt nur unsere Hoffnung, dass ein Teil von uns immer existieren wird.“

Und weiter:

„Es muss einen Grund dafür geben, dass wir hier sind.“

Dies zeige sich seiner Meinung nach auch darin, dass mit dem Tod „die innere Energie“ weiche, infolgedessen der tote Körper „schwer wie Marmor“ werde.

Quellen: euronews.com, klassik-heute.de, profil.at, merkur.de, musikverein.at