Bernd Stegemann: „Das Ego des säkularen Individuums sollte sich nicht für gottgleich erklären“
Der Sachbuchautor Bernd Stegemann, der Professor für Theatergeschichte und Dramaturgie an der Hochschule für Schauspielkunst ‚Ernst Busch‘ ist, hat ein bemerkenswertes Buch mit dem Titel „Was vom Glauben bleibt – Wege aus der atheistischen Apokalypse“ (Klett-Cotta) auf den Markt gebracht. Im COMMUNIO-Podcast „Communicatio“ stellte er sich der Frage, wie die Gesellschaft ohne Gott zurecht komme.
In seinem neuen Buch stellt Bernd Stegemann fest, dass der Mensch von heute Glaubenskriege führe, ohne an Gott zu glauben. Dabei legt er eine hochaktuelle Bestandsaufnahme der Welt vor, in der das Individuum den Platz Gottes eingenommen hat. Bei der sich stellenden Frage, wohin eine Freiheit ohne Gott führe, sollten uns seiner Ansicht nach die Weltkriege und totalitären Herrschaften des 20. Jahrhunderts, Klimakatastrophen und massenhafter Konsum zu denken geben. In einer Zeit, in der schrill die Apokalypse verkündet werde, habe ausgerechnet ein hochmütiger Glaube an absolute Wahrheiten überlebt. Diesbezüglich stellt Stegemann fest, dass ideologische Übertreibungen, Populismus, Fanatismus und Fundamentalismus heutzutage allgegenwärtig sind. Auf diese Phänomene blickend betont er:
„Wohl keine Zeit war so orientierungslos und zugleich so erregt. Dabei wäre eine Umkehr nötig. Nur wenn wir anerkennen, dass unsere Ansprüche kein göttlicher Wille sind, wenn wir die Demut dem Bescheidwissen vorziehen, können wir die Welt bewahren oder sogar besser machen.“
Quelle: klett-cotta.de
Im COMMUNIO-Podcast „Communicatio“ sprach Bernd Stegemann über Inhalte aus seinem neuen Buch und zeigte sich als ein Mensch, der an seinem eigenen Unglauben Zweifel hegt.
Der Berliner Dramaturg und Publizist, der sich in seinem Buch existenziellen Fragen „von der Seite des Unglaubens genähert“ habe, äußerte die Sorge, dass unsere Kultur ohne Gott „zusehends schlechter“ zurechtkomme. Dies begründet Stegemann zu einem mit seiner Wahrnehmung, dass in Politik, Kultur und sozialen Kontexten zunehmend fundamentale Erklärungen ersichtlich werden, „die sich selbst für absolut wahr halten“. Zum anderen erkennt er unter betont säkularen Menschen, apokalyptische Zukunftsbilder, die „endzeitlichen Fantasien“ folgen würden. Dass Menschen auf der einen Seite „so stolz“ auf ihre Rationalität und Säkularität seien und auf der anderen Seite „immer unverblümter zu den Kategorien des Absoluten“ greifen würden, sei ein Widerspruch, der ihn „schon seit Jahren“ beschäftige, so Stegemann.
Weiter brachte der Professor für Theatergeschichte und Dramaturgie zum Ausdruck, dass im Zuge der Säkularisierung zu sehr die negativen Auswirkungen von Religion betont wurden und dabei positive Auswirkungen übersehen wurden, wie etwa „die Demut“. Als nicht-gläubiger Mensch halte er den Aspekt, „freundlich und demütig, mit Glaube, Liebe und Hoffnung, auf die Welt“ zu schauen „für das alles entscheidende Kriterium der christlichen Religion“.
Ein weiteres Problem in der heutigen Zeit lokalisiert der studierte Philosoph und Germanist im Phänomen einer politischen Gnosis, das dann auftritt, wenn der Mensch meint, sich selbst erlösen zu können. Dieser Grundgedanke habe auf der einen Seite „eine Faszination“, stehe jedoch „konträr zum christlichen Verständnis, nach dem der Mensch nur in der Gnade auf Erlösung hoffen kann“, schilderte Stegemann. Weiter gab er zu bedenken, dass die heutzutage vielfach auftretende Vorstellung, sich von eingegangenen Irrwegen allein „mit technischen Erfindungen und politischen Maßnahmen“ erlösen zu können, „aus einer gläubigen Perspektive“ hinterfragt werden müsse. Dazu begründet Stegemann weiter:
„Wir können nicht auf die Technik verzichten, aber wir sollten sie nicht zum Götzen machen.“
Der Klimawandel sei nicht infrage zu stellen, jedoch sollte auch nicht „unsere eigene Panik vor dem Klimawandel zur fundamentalen Wahrheit“ erklärt werden. Auch gehe es nicht darum, die Krisen der Welt zu verharmlosen, jedoch sollten wir „auch nicht unsere eigene Perspektive auf diese Krisen absolut setzen“. Diesbezüglich betont Stegemann:
„Das ist das, was ich meine gelernt zu haben in meiner zarten, ersten Beschäftigung mit dem Christentum: Dass sich das Ego des säkularen Individuums nicht absolut setzen und für gottgleich erklären sollte.“
In Auseinandersetzung mit der Position des Philosophen Jürgen Habermas, der sich selbst als religiös unmusikalisch bezeichnet (wir berichteten), betont Bernd Stegemann, dass wir „so rational wie möglich sein“ müssten, aber anerkennen sollten, „dass die säkulare Rationalität nichts Absolutes ist“, und „dass die Rationalität vielmehr verloren geht, wenn sie sich selbst absolut setzt“. Die These, dass der Glaube eine Absicherung gegen ein Abgleiten der Vernunft sei, sieht Stegemann als eine zwar „sehr kritische Perspektive auf Habermas“, jedoch als eine Perspektive, „die man einnehmen kann“. So könne auch ein Mensch, der ein geschlossenes System ohne Gott annimmt, folgendes feststellen:
„Es gibt eine Leerstelle, die ich bedenken muss, auch als jemand, der persönlich gar keinen Zugang zum Glauben hat.“
Mit Blick auf seinen eigenen Unglauben erklärt Stegemann, dass er dabei nicht von einem Bedauern sprechen würde, sondern dass dieser Umstand „ein leider wahres Bild“ für einen Menschen von heute sei. Diesen Umstand sieht er dabei aber nicht als unabänderlich, wenn er anfügt:
„Wie man das ändern kann, ist eine offene Frage.“
Auf die Frage, ob er an seinem Unglauben auch mal zweifle, sagt der Berliner Dramaturg und Publizist mit Blick auf die Auseinandersetzung in seinem neuen Buch:
„Mein ganzes Buch ist der auf 250 Seiten ausgebreitete Zweifel eines Ungläubigen an seinem Unglauben. Damit könnte man es gut zusammenfassen.“
Quellen: herder.de, klett-cotta.de
Hinweis: Den COMMUNIO-Podcast „Communicatio“ mit Bernd Stegemann zum Nachhören gibt es: