Pater Dr. Peter Uzor: „Gott ‚zählt‘ die Umkehr und nicht die Abkehr“
Seine Auslegung zum Evangelium (Mt 21,28-32) leitete unser geistlicher Begleiter Pater Dr. Peter Uzor bei der Feier der Heiligen Messe am vergangenen Sonntag in seiner Kirchengemeinde St. Otto Ebersdorf bei Coburg mit folgenden Worten ein: Ein „klassischer“ Jesus wird uns heute im Evangelium begegnen. Seine Botschaft: Kehrt um! Das Reich Gottes ist nahe, aber ohne Umkehr eures Verhaltens werdet ihr es verfehlen. – Seine Gesprächspartner: die Ältesten und Schriftgelehrten. Oder anders gesagt: diejenigen, die wissen, wie Gott „funktioniert“ und sich nicht durch unbequeme Botschaften hinterfragen lassen. – Die Form seiner Botschaft: das Gleichnis. Ein Bild, das übersetzt werden muss, aber dadurch immer aktuell ist. – Wer Ohren hat zu hören, der höre.
Hier die Worte seiner Predigt:
Nicht viel reden, sondern machen. Es kommt schlicht darauf an, den Willen Gottes zu tun. Wir werden nicht nach unseren Worten und Absichten gerichtet, sondern nach dem, was wir getan oder auch nicht getan haben.
Entscheidend ist das Handeln, nicht das Reden.
Dieser Grundsatz ist tief im Judentum verankert. Die kleine Erzählung, die Jesus im heutigen Evangelium zitiert, lässt diese Regel anschaulich werden, und die Zuhörer haben es auch schnell erkannt: Es ist der Sohn, der sich zuerst verweigert und dann doch in den Weinberg geht, er ist es, der den Willen des Vaters tut.
Die Schwierigkeit ist natürlich, dass Gott nicht leibhaftig vor uns steht und konkret bittet, dass wir doch jetzt dies oder das tun.
Um herauszubekommen, was der Wille Gottes ist, müssen wir uns Zeit nehmen. Ruhig werden, auf die Heilige Schrift hören, die eigenen Beweggründe ehrlich unter die Lupe nehmen.
Manchmal ist es nicht leicht herauszufinden, wie man sich in einer bestimmten Situation verhalten soll.
Andererseits macht Jesus kein Geheimnis daraus, wie der Wille Gottes aussieht. „Was ihr dem Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan“, sagt er beispielsweise (Mt 25,40). Und für alle, die es noch konkreter brauchen, schildert er lebensnah, wo und wem wir helfen sollen: den Menschen, die Hunger und Durst haben, die fremd und obdachlos sind, die keine Kleidung, keine Würde haben, die krank oder im Gefängnis und einsam sind. Haben wir ihnen geholfen – oder nicht?
Das Gleichnis von den ungleichen Söhnen, wie es auch genannt wird, ist aber mehr als eine Aufforderung Jesu, die Ärmel hochzukrempeln und anzupacken. Jesus erzählt dieses Gleichnis in einer für ihn hochbrisanten Situation: Er sitzt im Jerusalemer Tempel und lehrt, und die Schriftgelehrten stellen seine Lehrautorität in Frage. Das ganze Kapitel 21 des Matthäusevangeliums ist von dieser Frage bestimmt: Woher hast du die Autorität, so von Gott zu sprechen? Streitgespräche gehören im Judentum zum Lehrhaus und zum Tempel; sie sind eine Form, den Glauben zu vertiefen und die Wahrheit des Glaubens zu suchen. Jetzt aber geht es nicht wirklich um die Wahrheit des Glaubens, sondern darum, Jesus in Frage zu stellen, am besten ihn zu einer Aussage zu verführen, für die man ihn vor der religiösen Obrigkeit verklagen kann. Und gleich im anschließenden Kapitel 22 folgen bei Matthäus der Prozess Jesu und seine Hinrichtung, weil er sich angemaßt hat, von Gott anders zu sprechen, als es das damalige offizielle Judentum tat. – Von daher lohnt es sich, noch einmal genauer auf diese scheinbar harmlose Erzählung zu schauen.
Worum geht es Jesus?
Der Vater in dieser Erzählung stellt keine Rückfragen. Wir hören nichts davon, dass er den zweiten Sohn für sein Nichthandeln zur Rede stellt oder gar straft. Ganz offensichtlich spricht er jeden der Söhne in gleicher Weise an: mit seiner Autorität als Vater und in der Offenheit, dass jeder der Söhne entscheidet, wie er mit der Frage umgeht.
Und diese Offenheit ist das Besondere, das so ganz Andere.
Hier wird nicht abgerechnet, hier wird offengehalten – und in dieser Offenheit findet der erste Sohn aus seiner Ablehnung heraus, kann er umkehren und im Sinne des Vaters handeln.
Man kann den Schriftgelehrten und Pharisäern, mit denen sich Jesus auseinandersetzt, nicht vorwerfen, dass sie nicht alles tun, um den Willen Gottes zu erfüllen. Sie leben ein strenges Leben nach den Gesetzen der Tora und verlangen sich manche Einschränkung ab. Sie reden nicht nur, sie handeln. Darin gründet ihre Autorität, von Gott zu sprechen, darauf beruht ihr großer politischer Einfluss.
„Ihr seid wie der zweite Sohn im Gleichnis“, hält Jesus den Hohenpriestern vor. Er verweist auf Johannes den Täufer und dessen „Weg der Gerechtigkeit“. „Ihr habt Johannes den Täufer gehört, der euch den Willen Gottes gezeigt, der euch zur Umkehr gerufen hat. Ihr habt es gehört – und nichts geändert.“ Johannes hat hingewiesen auf den, der nach ihm kommt – aber die religiöse Oberschicht wollte den Gedanken nicht einmal zulassen, dass Jesus der Erwartete ist. Allein die Vorstellung, es könnte so sein, passt nicht in ihr Denken. Sie sind nicht bereit, sich auf Jesus einzulassen. Sie sind nicht willens, von ihrer Macht und Deutungshoheit abzurücken.
Die Auslegungstradition und wohl auch schon der Evangelist selbst haben in den beiden Söhnen Juden und Heiden gesehen, und im Abschluss unseres Evangeliumstextes heute sagt es Jesus selbst: Die gläubigen Juden haben das Wort des Johannes nicht angenommen und nehmen auch jetzt Jesu Verkündigung nicht an. Die aber, die nicht zum jüdischen Volk zählen, die gesellschaftlich am unteren Rand rangieren, die sind offen und lassen sich ein. Wir können davon ausgehen, dass sich Jesus selbst zuerst zum eigenen Volk gesandt sah, und wir wissen aus anderen Stellen des Neuen Testamentes, dass er unter der Ablehnung schwer gelitten hat. Erst allmählich hat sich für ihn die Perspektive eröffnet, dass er mit seiner Botschaft zu allen Menschen gesandt ist und sich der Himmel über jeden Sünder, der umkehrt, mehr freut als über 99 Gerechte (vgl. Lk 15,7).
Diese Erkenntnis und seine Bereitschaft, über die Grenzen des eigenen Volkes hinauszuschauen, hat Jesus Kraft gegeben, die Ablehnung durch die jüdische Obrigkeit bis in die letzte Konsequenz auszuhalten.
Das Verhalten dieses Vaters im Gleichnis wird zur zentralen Aussage in der Verkündigung Jesu:
Gott hält den Raum offen, in dem der Mensch sein Handeln als falsch erkennen und korrigieren kann. Er „zählt“ die „Umkehr“ und nicht die „Abkehr“.
Die Zöllner und Dirnen im Gegensatz zu den jüdischen Obrigkeiten haben sich ansprechen lassen, sagt Jesus. Sie haben vielleicht etwas Zeit dafür gebraucht, wie der erste Sohn im Gleichnis – aber sie haben bereut, was sie falsch gemacht haben. Sie haben Jesus geglaubt.
Menschen, die zugeben, dass sie etwas falsch gemacht haben, sind Gott näher als solche, die von ihrer eigenen Tugendhaftigkeit überzeugt sind.
Und das heißt konkret: Vor Gott muss ich keinen Fehler, den ich gemacht habe und rückblickend als solchen erkenne, verstecken oder verschweigen. Im Gegenteil, je mehr ich dazu stehe, je mehr ich aufrichtig Gott gegenüber – und dann vielleicht auch Anderen gegenüber – und schließlich sogar mir selbst gegenüber wahrnehme, was ich in meinem Denken und Handeln korrigieren und verändern will, umso mehr werde ich mich „auf-richten“, die befreiende Kraft der Aufrichtigkeit spüren, den Neubeginn schätzen und Gott als den ersten erkennen, der mir darin nahe ist. Oder um es mit Paulus zu sagen: „Weißt du nicht, dass Gottes Güte dich zur Umkehr treibt?“ (Röm 2,4).
Wo finde ich mich in dem Gleichnis wieder?
Bin ich eher wie der zweite Sohn – schnell begeistert dabei, aber träge, wenn es an die Umsetzung geht? Oder kann nicht gut Nein sagen, weil ich Menschen nicht vor den Kopf stoßen möchte? Wie bereit bin ich wirklich, die Ärmel hochzukrempeln und Gottes Willen – oder das, was ich davon verstanden habe – zu tun? Ganz konkret und auch, wenn es mich etwas kostet?
Oder ist mir der erste Sohn näher, der erstmal stöhnt und unwillig ist, sich schon wieder auf eine Arbeit, eine neue Herausforderung einzulassen? Der dafür die persönliche Komfortzone verlassen müsste? Der dann, nach einigem inneren Hin und Her, doch einen Sinn in der Aufgabe sieht und sich darauf einlässt?
Und was macht der Vorwurf Jesu, die Zöllner und Dirnen kämen eher ins Reich Gottes, mit uns heute?
Was würde Jesus uns heute an den Kopf werfen? Vielleicht: „Ihr habt mein Wort gehört, Sonntag für Sonntag in der Kirche – und doch glaubt ihr mir nicht?“ Fühlen wir uns manchmal besser als andere – wie die Hohenpriester und Ältesten, denen Jesus genau das vorwirft? Oder spüren wir, dass wir oft weit weg sind von Gott, möchten aber umkehren, wie die von Jesus zitierten Zöllner und Dirnen?
Dieses Gleichnis trägt dennoch einen Keim der Hoffnung in sich: Auch der Unglaube der Pharisäern, Schriftgelehrten und Hohenpriestern bleibt letztlich umfangen von der Barmherzigkeit des Vaters. Jesus wird die Ablehnung, den Hass und den Tod durchleiden – aber das wird nicht das Ende sein.
Seit Ostern haben Finsternis, Unglaube und Tod nicht mehr das letzte Wort.
Sie bleiben umfangen von der Liebe und Allmacht Gottes. Wir sollen uns nach Kräften bemühen, den Willen Gottes zu tun – aber auch in unserm Scheitern bleibt Gott uns Vater. Auch dann wird er uns retten.
Amen.
Hier ein Song vom Münchner Rapper Tilos, der die Predigt von Pater Peter nachklingen lässt: