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Pater Dr. Peter Uzor: „Hoffent­lich ist die Kirche ein Auslaufmodell“

Zum Kirchweihfest in St. Nikolaus Großgarnstadt (Oberfranken), das am 7. Oktober stattfand, hielt unser geistlicher Begleiter Pater Dr. Peter Uzor eine Predigt zur Kirche der Zukunft, die die Gottesdienstbesucher so begeisterte, dass einige von ihnen uns baten, diese Predigt einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Seine Predigt stellt er unter den Titel „Kirche ein ‚Auslaufmodell‘?“ und formuliert in Anlehnung an die Ausführungen des Theologen Paul M. Zulehner eine Idee für eine Kirche mit Zukunft (vgl. Paul M. Zulehner, Auslaufmodell. Wohin steuert Franziskus die Kirche, Patmos Verlag 2015).

 

Anbei die Eröffnungsworte von Pater Peter zur Messfeier und im Anschluss seine Predigt:

 

Wir feiern heute das Kirchweihfest. Am Kirchweihfest feiert man den Geburtstag einer Kirche oder Kapelle. Und so wie man am eigenen Geburtstag über sein Leben nachdenkt, Bilanz zieht und die Zukunft in den Blick nimmt, so regt auch das Kirchweihfest dazu an, wieder einmal genauer anzuschauen, an welchem Punkt die Gemeinschaft der Christen geradesteht, und in welche Richtung ihr Weg gehen soll.

Unser Papst Franziskus wird nicht müde, für eine offene und mutige Kirche zu werben und vor der Angst zu warnen, die er bei vielen Christen ent­deckt: „Die Angst“ – so Franziskus „ist eine schlechte Beraterin und führt zum Stillstand … Die Seele hat dann nicht mehr die Freiheit, in die Zukunft zu blicken und vorwärts zu gehen. Mit der Angst kann man nichts Neues schaffen oder Gutes tun. Da sagt man ständig: Nein, das geht nicht, das ist gefährlich … Das ist jedoch ein Fehler.“

Wenn die Kirche Angst hat und immer auf Nummer sicher gehen will, dann sieht das – sagt Franziskus – „so aus, als ob sie vor ihrer Tür ein Ver­botsschild aufgestellt hätte. Alles ist verboten – aus Angst, etwas Falsches zu tun. Und wenn du da eintrittst, dann atmest du diese vergiftete Luft – und die macht krank.“

Deutliche Worte – und ein Appell an uns:

Seid offene und mutige Men­schen, und werdet miteinander zu einer Kirche, die nicht ängstlich und un­beweglich sitzenbleibt, sondern den Aufbruch wagt…

 

Predigt — KIRCHE – EIN „AUSLAUFMODELL“?

 

„Die Kirche ist ein Auslaufmodell!“ – Das sagen inzwischen viele, die sich mit der Entwicklung in unseren Gemeinden und mit der Zukunft des Christentums beschäftigen. Und sie haben gute Argumente: Die Zahl der Kirchenaustritte steigt und steigt. Die Sonntagsgottesdienste werden immer schlechter besucht – und die Mitfeiernden sind vorwiegend ältere Leute. Der Nachwuchs bei den Priestern, bei den Ordensleuten und bei den Theologiestudenten nimmt quantitativ und qualitativ permanent ab. Und unter den noch aktiven und engagierten Kirchenmitgliedern breiten sich Resignation und Frustration ständig weiter aus.

„Die Kirche ist ein Auslaufmodell!“ Wie reagieren Sie auf diese Behauptung? Was antworten Sie, wenn Ihnen das jemand ins Gesicht sagt?

Meine Antwort wird Sie wahrscheinlich schockieren. Zumindest werden Sie mit dem Kopfschütteln, wenn ich sie Ihnen verrate. Ich sage. „Hoffent­lich ist die Kirche ein Auslaufmodell!“

Diesen Wunsch muss ich natürlich erklären: Die Kirche wird gerne mit einem Schiff verglichen. Das „Schifflein Petri“ nennt man sie, und in einem neueren Lied singen wir vom „Schiff, das sich Gemeinde nennt“. Schiffe sind nicht dazu gebaut, um im geschützten Hafen vor sich hinzudümpeln, sondern um „auszulaufen“, um Fahrt aufzunehmen und sich auf offener See zu bewegen.

Mir gefällt dieses Bild vom Schiff der Kirche – und deshalb kann ich mit vol­ler Überzeugung sagen: „Hoffentlich ist die Kirche ein Auslaufmodell!“

  • Hoffentlich geht sie auf große Fahrt.
  • Hoffentlich wagt sie sich hinaus auf die Meere der Welt.
  • Hoffentlich hat sie keine Angst vor Gegenwind, vor Turbulenzen, vor den „Stürmen der Zeit“.

Die Kirche – ein Auslaufmodell: Es reizt mich, dieses Bild noch weiter aus­zumalen:

Ich möchte nicht:

  • dass das Schiff der Kirche sich in der Tiefe der Vergangenheit verankert; dass es in der vermeintlich „guten alten Zeit“ vor Anker geht;
  • dass der ganze Ballast der Geschichte, den die Kirche mitschleppt, sie nach unten zieht und sie unbeweglich macht.

Sondern ich hoffe, dass die Kirche den Mut hat, den Anker zu lichten und mit der Botschaft Jesu zu neuen Ufern aufzubrechen.

Ich möchte nicht,

  • dass das Schiff der Kirche – mit Seilen und Tauen fixiert – am Kai liegen­bleibt;
  • dass die Kirche sich selbst fesselt und festlegt durch alte Zöpfe – durch starre Lehrsätze und durch verkrustete Strukturen, die früher einmal richtig waren;
  • dass sie sich bindet an stereotype Formeln und an eine antiquierte Spra­che, die niemand mehr versteht;
  • dass sie sich kettet an kleinliche Gebote und an moralische Normen, die mit der Weite und der Barmherzigkeit Jesu nichts zu tun haben. Sondern ich hoffe, dass die Kirche es schafft, die Leinen zu lösen und die Seile zu kappen, die sie am Aufbruch und an der Ausfahrt hindern.

Ich möchte nicht,

  • dass das Schiff der Kirche hinter dicken und hohen Hafenmauern sein Dasein fristet – hinter Mauern, die es vor allem schützen, was die Welt bewegt;
  • dass die Kirche sich aus dem Auf und Ab des Lebens völlig heraushält;
  • dass sie sich abschottet und Angst hat vor der Weite, vor der Freiheit und vor der Offenheit, die Jesus seinen Jüngern ans Herz gelegt hat.

Sondern ich hoffe, dass die Kirche den sicheren Hafen verlässt und sich dorthin wagt, wo Menschen in den Stürmen ihres Lebens Hilfe, Ermuti­gung und Begleitung brauchen.

„Hoffentlich ist die Kirche ein Auslaufmodell!“ – Vielleicht haben Sie sich
inzwischen vom ersten Schock erholt und können meinem Wunsch etwas abgewinnen oder ihm sogar zustimmen. Vielleicht haben Sie auch Lust be­kommen, mit mir an diesem Wunschbild noch ein wenig weiter zu malen.

Ich wünsche mir die Kirche als Rettungsboot, das nach Menschen sucht,

  • denen das Wasser bis zum Hals steht;
  • die keinen Boden mehr unter den Füßen spüren; die keinen Halt mehr haben und unterzugehen drohen.

Die Kirche als Rettungsboot für Menschen in Seenot – für Kranke und Benachteiligte, für Gescheiterte und Ausgegrenzte.

Ich wünsche mir die Kirche auch als Fähre,

  • die Menschen an ein anderes Ufer und in ein neues Land bringt;
  • die mithilft, dass wir eine neue Welt, die Gedankenwelt Jesu und seine Vision vom Reich Gottes kennenlernen;
  • die uns hinüber- und hineinführt in ein wertvolles und erfülltes Leben, das am Leben Jesu Maß nimmt.

Die Kirche als Fähre für alle, die neue Horizonte suchen, die aufbrechen wollen, und die auf dem Boden des Evangeliums ihr Leben gestalten möch­ten.

Ich wünsche mir die Kirche schließlich auch als Eisbrecher,

  • der in Vereistes und Verhärtetes eine Schneise schlägt;
  • der der Kälte trotzt und für andere Schiffe eine Rinne freimacht, damit sie ihre Fracht ans Ziel bringen können;
  • der einen Weg bahnt, wo bisher keiner sichtbar war.

Die Kirche als Eisbrecher – auch im übertragenen Sinn: als Gemeinschaft, in der Menschen miteinander versuchen, gegen ein frostiges Klima anzu­kämpfen; Wärme und Herzlichkeit auszustrahlen; Kontakte zu knüpfen und gemeinsam die Sache Jesu voranzubringen.

„Hoffentlich ist die Kirche ein Auslaufmodell“! Hoffentlich ist sie als Rettungsboot, als Fähre und als Eisbrecher unterwegs.

Hoffentlich läuft sie aus ihrem sicheren Hafen aus und riskiert etwas,

  • um Menschen in Not zu helfen;
  • um sie in die Welt Jesu hinüber- und hineinzuführen;
  • um gegen die Kälte in unserer Welt anzugehen.

Wenn sie mit diesem Ziel immer wieder aufbricht und hinausfahrt ins offe­ne Meer der Welt – dann hat sie Zukunft. Dann ist sie – davon bin ich über­zeugt – alles andere als ein Auslaufmodell.

(Nach einer Idee von Paul M. Zulehner, Auslaufmodell. Wohin steuert Franziskus die Kirche, Patmos Verlag 2015)

Anbei das Kirchenlied „Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt“: