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Pater Dr. Peter Uzor: „In Jesus sagt Gott uns nicht nur etwas, sondern sich selbst aus“

Unser geistlicher Begleiter Pater Dr. Peter Uzor brachte in seiner Predigt zum heutigen Sonntagsevangelium (Joh 14,23-29), die er unter das Motto „Im Inneren verwandelt werden“ stellte, in der Vorabendmesse in St. Marien Sonnefeld bei Coburg mit Blick auf die Situation der Kirche in der heutigen Zeit zum Ausdruck, dass uns die Christen der Gemeinde, in der vor 1900 Jahren das Johannesevangelium entstand, näher als gedacht sind und Jesus im Johannes-Evangelium Mut macht, nicht am Alten zu kleben.

Hier die Worte seiner Predigt:

Was bleibt, wenn nichts bleibt, wie es ist?

Woran können wir uns halten, wenn wir gewohnte Sicherheiten verlieren? Wenn durch eine Diagnose alles wegbricht, was bisher normal war. Beim Verlust des Arbeitsplatzes oder wenn der Umzug von der Wohnung ins Heim unvermeidlich wird. Wenn jemand uns verlässt – sei es durch Tod oder eine andere Trennung – und wir auf einmal alleine sind.

Das Johannesevangelium erzählt, wie Jesus seine Jünger auf die Trennung von ihm und das Alleinsein vorbereitet.

Genau an dem Abend, an dem er Abschied von seinen Jüngern nimmt – nachdem er ihnen die Füße gewaschen hat und bevor er verhaftet, verurteilt und hingerichtet wird.

Jesus festhalten, so wie er gelebt hat – das funktioniert nicht, auch nach Ostern nicht.

Diese Erfahrung macht Maria Magdalena am Ostermorgen. Aber es gibt trotzdem etwas, das bleibt, auch wenn Jesus weg ist: „Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten.“ Bestimmt kennen Sie das:

Ein Wort kann man tatsächlich festhalten. Da ist zum Beispiel der Brief, den wir aufheben, weil seine Worte uns wärmen.

Durch die Worte ist der Mensch uns nah, von dem sie stammen, auch wenn er weit weg ist. Worte wirken, schaffen Beziehung, können verändern.

Daher beginnt das Johannesevangelium mit einem großen Lob auf das Wort: „Im Anfang war das Wort.“

Das haben wir an Weihnachten gehört.

Das Johannesevangelium ist davon überzeugt: Jesus ist Gottes Wort für uns. In ihm sagt Gott uns nicht nur etwas, sondern sich selbst aus.

„Das Wort, das ihr hört, stammt nicht von mir, sondern vom Vater, der mich gesandt hat.“ Das haben wir heute im Evangelium gehört. Der Dichter Kurt Marti hat einmal gesagt:

„Ihm, Christus, glaube ich Gott.“

Besser kann man nicht auf den Punkt bringen, was das Johannesevangelium mit „dem Wort“ meint.

Wer Jesus liebt und sein Wort hält, dem und der ist zugesagt: „Wir [das heißt: Jesus und der Vater] werden zu ihm kommen und bei ihm Wohnung nehmen.“

Nicht Menschen müssen sich aufmachen und den großen Abstand zu Gott überbrücken. Es ist Gott, der sich aufmacht und in Menschen wohnen will.

Solch ein Prozess braucht Kraft. Auch die ist keine menschliche Leistung. Jesus sagt: Sie kommt von Gott. Diese Kraft ist der Heilige Geist.

Im Johannesevangelium ist auch der Geist etwas sehr Intimes ohne äußeres Spektakel. Kein Sturmbrausen, sondern eine stille, bleibende Verbindung. Eine Erinnerung an Jesus, die die Macht hat, Gegenwart und Zukunft zu wandeln.

Sie bringt Frucht: den Frieden. „Meinen Frieden gebe ich euch; nicht, wie die Welt ihn gibt…“ Auch dieser Frieden ist etwas Inneres, Intimes. Ein inneres Verwurzelt-sein. Nachhaltige Stabilität!

Das Johannesevangelium erzählt, wie Jesus seinen Jüngern Mut macht. Dabei geht es nicht nur um die ersten Jünger Jesu. Das Johannesevangelium hat die Situation der eigenen Gemeinde im Blick. Da geht es auch um die aktuellen Jüngerinnen und Jünger, um die Christen, für die dieses Evangelium entstand.

Heute geht man davon aus, dass das wahrscheinlich um das Jahr 100 n. Chr. war, also ca. 70 Jahre nach dem Tod Jesu. Das Johannesevangelium ist nach Markus. Lukas und Matthäus das jüngste Evangelium. Zur Zeit des Johannesevangeliums lagen die Ereignisse um Jesus schon einige Jahrzehnte zurück. Jüdische und christliche Gemeinden hatten sich weiterentwickelt.

Christen, die von Geburt an Juden waren, erlebten, dass das Christentum eine eigene Religion wurde und keinen Platz mehr im Judentum hatte. Diese Trennung war für beide Seiten ein sehr schmerzlicher Prozess.

Und nicht nur das: Nach rund sieben Jahrzehnten wussten viele Christen nicht mehr, woran sie sich halten sollten. Denn nach sieben Jahrzehnten sterben die Augenzeugen aus. Es gab niemanden mehr, der verlässlich von diesem Jesus erzählen konnte, weil er dabei war.

Die Christen in der Gemeinde, in der das Johannesevangelium entstand, erlebten genau wie die ersten Jünger: Jesus ist weg. Wir sind allein. Was gilt?

„Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht.“ Denn es gilt das Wort. Womöglich meint das Johannesevangelium damit auch sich selber:

Die Christen in der Gemeinde können sich an diesem Evangelium festhalten, denn seine Worte überliefern verlässlich Jesus, der Gottes Wort ist.

Und es gilt die Zusage: Der Heilige Geist gibt innerliche Kraft und sorgt dafür, dass die Verbindung bleibt.

Und Jesus schenkt im Inneren Frieden – auch wenn die Situation der Gemeinde, von außen betrachtet, sehr schwierig war und es viele Probleme und Konflikte gab. Es geht um einen inneren Prozess der Wandlung: nach außen unspektakulär. Es sind nicht die äußeren Rahmenbedingungen, die der Gemeinde Frieden und Stabilität bringen. Es ist das innere Festhalten und Gehaltensein ihrer Mitglieder.

„Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht.“ Am heutigen Sonntag sind wir die Gemeinde, der diese Worte zugesagt sind. Gründe zum Verzagen haben auch wir wahrlich mehr als genug.

Ich denke dabei nicht nur an die persönlichen Verlusterfahrungen, die ich anfangs skizziert habe. Ich denke auch an die Situation unserer Kirche.

Wir erleben Umbrüche, die für die Generationen vor uns unvorstellbar waren. Wir hier vor Ort merken,

  • dass Kirchenbänke leer geworden sind,
  • dass Pfarreien in sogenannten Strukturprozessen zusammengelegt werden,
  • dass pastorales Personal immer rarer wird,
  • dass das Glaubenswissen in der Gesellschaft verdunstet.

Dies alles sind Symptome für einen umfassenden Relevanzverlust, den die Institution Kirche erleidet.

Wie lange wird es die Kirchensteuer noch geben? Den Religionsunterricht in der Schule? Hauptamtliche Ansprechpartner und -partnerinnen in der Pfarrei? Regelmäßige Gottesdienste? Wie soll es weitergehen? Was gilt? Was bleibt, wenn sich alles ändert?

Vielleicht sind uns die Christen der Gemeinde, für die vor 1900 Jahren das Johannesevangelium entstand, näher als gedacht.

Was bleibt, wenn wir das Vertraute nicht festhalten können?

Das Johannesevangelium kreist angesichts dieser Schlüsselfrage nicht um Themen wie Leitung, Ämter und Strukturen. Die apostolische Autorität des Zwölferkreises spielt keine tragende Rolle. 

Da setzt das Johannesevangelium einen völlig anderen Schwerpunkt als die Apostelgeschichte, die uns ebenfalls durch die Lesungen der Osterzeit begleitet.

Das Johannesevangelium denkt ganz von innen. Genauer: vom Inneren der Gemeindemitglieder her. Nicht die Situation muss sich wandeln, sondern die Christen und Christinnen dürfen sich in ihrem Inneren wandeln lassen.

Wenn jemand oder etwas fortgeht, wenn wir verlassen werden, ist das schlimm und tut weh. Gleichzeitig gilt:

Es kann Neues werden!

Nie mehr so, wie es war. Anders als erwartet.

Jesus macht im Johannesevangelium Mut, nicht am Alten zu kleben.

Die Leerstelle anzunehmen und ihr eine Chance zu geben. Anders in Verbindung zu bleiben. Sich zu freuen über das Neue, das wächst: nicht spektakulär für die äußeren Augen, aber nachhaltig.

Ich wünsche uns allen an diesem Sonntag vor Christi Himmelfahrt und in Erwartung von Pfingsten den Mut, und diesem Wandlungsprozess zu stellen: die Leerstelle anzunehmen, die bleibt, wenn Vertrautes wegbricht, von dem wir meinen, es müsse immer so bleiben. Es gibt viele Trennungen, die wir erleben: die alltäglichen Verluste und die großen Abschiede, die uns in unserer Lebensgeschichte zugemutet werden. Die Abschiede, die unsere Gemeinde und unsere Kirche erleiden.

In jeder Leerstelle ist Platz für Neues.

Nicht die Situation muss sich wandeln, sondern wir können in unserem Inneren verwandelt werden. So bleiben wir in Verbindung. Anders als erwartet. Wohnung Gottes tief in uns – und die Zukunft vor uns!

„Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht!“

Amen.