Historiker Michael Wolffsohn: „Wer die Religion des anderen achtet, darf erwarten, dass seine Religion ebenso geachtet wird“

Michael Wolffsohn wurde 1947 in Tel Aviv geboren. Er ist ‚Hochschullehrer des Jahres 2017‘, Historiker und Publizist. Zuletzt erschienen von ihm „Deutschjüdische Glückskinder“ und „Zum Weltfrieden“.

In einem Kommentar auf bild.de zum aktuell stattfindenden Katholikentag mit dem Titel „Das Kreuz mit dem Kreuz“ thematisiert Michael Wolffsohn das Motto des Katholikentages „Suche Frieden“ im Zusammenhang mit der aktuellen Kreuzdebatte und der christlichen Botschaft der Nächsten- und Selbstliebe.

Das Handeln von Kardinal Reinhard Marx und Heinrich Bedford-Strohm im Herbst 2016, ihre Kreuze beim Besuch des Tempelbergs abzulegen, um nicht zu provozieren, betrachtet Wolffsohn zurückblickend als „gewiss ehrenhaft, aber mehr als seltsam“ und legt sein Toleranzverständnis, wie folgt, dar:

„Wer nämlich die Religion des anderen achtet, darf seinerseits erwarten, ja, verlangen, dass seine Religion ebenso geachtet wird.“

Mit Blick auf die christliche Botschaft „Liebe deinen Nächsten wie dich Selbst“ interpretiert Michael Wolffsohn und schreibt:

„Nächstenliebe setzt Selbstliebe voraus. Anders ausgedrückt: Wer sich nicht selbst achtet, kann und wird auch andere nicht achten.“

Das Kreuz sei „DAS christliche Zeichen schlechthin“ und beinhalte wie jedes Symbol eine Fülle von Bedeutungen. Weiter schreibt er:

„Jede einzelne Bedeutung, die das Kreuz beinhaltet, signalisiert dem Betrachter: Hier hast du es mit Christlichem zu tun – religiös, kulturell, politisch, rechtlich.“

Jeder könne mit Blick auf diese Symbol, sich christlichen Gedanken zu- oder abwenden, habe aber die Gewissheit, dass das Christentum präsent und „Teil dieser Welt“ ist, ob das dem einzelnen nun gefalle oder nicht.

Bezüglich des Toleranzverständnis vieler Deutschen, denen inzwischen jede Religion „wurscht“ sei, gibt Wolffsohn zu bedenken, dass es ambivalent sei, wenn viele sich nicht am Kopftuch der Muslima oder an der jüdischen Kippa angestoßen fühlen, sich aber „ausgerechnet durch das christliche Kreuz ‚provoziert‘ fühlen“ würden.

Dazu folgert Wollfsohn:

„Sie lieben den Nächsten, aber weniger sich selbst. (…) Sie haben keine eigene Identität.“

Dazu schreibt er, dass es auf Dauer nicht gutgehen könne, wenn man nicht „eins mit sich selbst“ sei und betont, dass Identität ‚mit sich selbst eins = identisch sein‘ bedeute. Und weiter:

„Wer keine Identität hat, denkt heute dies und morgen das – und kann leicht verführt werden.“

Man könne es „drehen und wenden“, wie man wolle:

„Deutschland ist trotz vielfältiger Einflüsse in erster Linie christlich geprägt, auch wenn und wo sich die Deutschen dessen nicht bewusst sind.“

Diesbezüglich betont Wollfsohn weiter, dass es gerade angesichts der „Vielschichtigkeit der deutschen Gesellschaft“ für ein friedliches Miteinander in dieser Gesellschaft notwendig sei, „dass sich alle Teile ihrer jeweiligen Identität bewusst sind oder werden“. Dann erst könne man den Nächsten achten oder gar lieben – wie sich selbst.

Mit Blick auf den aktuellen Kabinettsbeschluss von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, dass künftig alle Landesbehörden gut sichtbar ein Kreuz anbringen müssten, betont Michael Wolffsohn abseits der politischen Motive vielmehr die bedeutende Message, die dadurch sichtbar werde:

Ein Kreuz wo auch immer im heutigen Deutschland besagt: Wir achten, mögen und schätzen unsere muslimischen und jüdischen, alle, ‚Mitbürger‘, aber ‚zuallererst‘ ist Deutschland christlich geprägt.“

Als Jude habe er „mit dieser Botschaft nicht das geringste Problem“, denn er liebe Christen und andere wie sich selbst und führt weiter aus, dass das bedeute, sich „selbst individuell und als Teil der jüdischen Gemeinschaft, die Teil der Gemeinschaft aller Menschen ist“.

Mit Blick auf das Motto „Suche Frieden“ des aktuell in Münster stattfindenden 101. deutschen Katholikentag resümiert Michael Wolffsohn:

„Wie steht es um die Kirchen, wenn Juden wie ich sozusagen die letzten Christen sind? Hoffentlich suchen – und finden! – Christen nicht nur auf Katholiken- und Kirchentagen sich selbst und dann den Frieden. Frieden mit sich selbst und in der Welt.“

Quelle: bild.de