Bild zeigt das Altar-Kreuz in St. Josef Grub am Forst bei Coburg

Pater Dr. Peter Uzor: „Der am Kreuz kennt unsere Wunden“

Am Karfreitag zeigte sich vor fast 2000 Jahren die tiefste Liebe am Kreuz – eine Liebe, die das Leid nicht scheut, um uns Leben zu schenken. Im Jahr 2025 nach Christus titelt die Wochenzeitung Die Zeit in ihrer aktuellen Ausgabe auf der ersten Seite mit der Headline „Die erfolgreichste Geschichte der Welt“ und geht dabei der Frage nach, wie aus kaum mehr als 20 Jüngern Milliarden von Christen und eine Hochreligion werden konnte. Die BILD stellt die Frage Wieso gibt es an Karfreitag keine Bundesliga?“, weil immer mehr Fans diese Frage stellen würden.

Licht ins Dunkel bringt unser geistlicher Begleiter Pater Dr. Peter Uzor mit seiner Predigt zu Karfreitag, die die Relevanz der Heilstat Christi für das menschliche Leben nachspüren lässt.

 

Anbei seine Predigt zu Karfreitag 2025, die Pater Peter mit den Worten „Durch seine Wunden sind wir geheilt“ (1 Petr 2,24) überschreibt:

 

In einem ihrer Gedichte schreibt die deutsch-schwedische jüdische Schriftstellerin und Lyrikerin Nelly Sachs (1891-1970) von der Berufung des Herzens, Wunde zu sein – ein schwer verständliches Wort. Und doch, jede und jeder von uns kennt die Wunden des Herzens, wir erleiden sie jeden Tag, kleine und große Wunden. Körperwunden. Herzwunden. Ist es eine Berufung, Wunde zu sein? Eine Berufung des Herzens?

Wie oft war ich schon verwundet? Wie oft bin ich als Kind gestürzt? Stürmisch wollte ich den Eltern und Geschwistern zeigen, wie schnell ich laufen kann, und nach wenigen Metern lag ich am Boden. Lautes Jammern, Tränen in den Augen, ein blutendes Knie, eine tröstende Mama, zurück ins Haus auf dem Rücken von Papa. Dann tut es nochmals weh: die Wunde muss gereinigt werden und bei jedem kleinen Schritt zieht es im Knie.

Es ist eine meiner grundlegenden Erfahrungen: Ich bin verwundbar.

Mein Körper, das geniale Kunstwerk aus Zellen, Organen, Blutbahnen, Muskeln, Sehnen und Nervenzellen, ist angreifbar und ich muss gut auf ihn aufpassen. Meine Seele ist vielleicht noch verletzlicher als mein Körper: Vieles setzt ihr zu: Ängste, Liebeskummer, Verlassenheit, Trauer, Enttäuschungen, Verluste.

Nicht nur ich allein bin verwundbar, wir sind es alle und wir sind es auch als Gesellschaft, als Kirche, als Menschheit. Mehr noch: Wie wohl zu keiner Zeit vor uns wird uns heute bewusst: unsere Erde ist verwundbar. Sie ist bereits im Würgegriff der menschlichen Gewalt, im Würgegriff der Gier, die nicht genug bekommen kann und dabei ist, die Erde zu ersticken.

Am allermeisten aber sind wir in der Liebe verwundbar.

Dort, wo wir uns berührbar machen. Wo wir beglückende Begegnung suchen. Dort tut es uns am meisten weh, wenn wir verletzt werden. Manchmal ist es nur die nicht zugedrehte Zahnpastatube, die einen Riesenkrach auslöst. Und schon so eine kleine Nebensächlichkeit kann eine Spirale gegenseitiger Verletzungen in Bewegung bringen, die sich schwer nur zurückholen lässt.

Ist es nur Unglück, dass wir verwundbar sind? Ist es nicht auch unsere Chance?

Ich möchte um Gottes willen kein gefühlloser, herzloser Apparat sein. Wir wollen es alle: fühlen und empfinden, Freude und Schmerz, Glück und Trauer. wir wollen mitfühlen, trösten, über die Wange eines weinenden Kindes streichen, den Freund am Grab seines Vaters in den Arm nehmen, eine Nacht am Bett einer Sterbenden sitzen.

Ist nicht das Mitgefühl eines unserer größten Talente?

Ich finde, eine der schönsten Stellen im ganzen Neuen Testament steht in der Johannespassion – wir haben sie eben gelesen: „Bei dem Kreuz Jesu standen seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala. Als Jesus die Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er (Jesus) zur Mutter: Frau, siehe, dein Sohn! Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.“ (Joh 19,25-27)

Wie kann ein Mensch blutüberströmt und schmerzverzerrt in der letzten Stunde seines Lebens um die Zukunft und das Wohl zweier Menschen besorgt sein und sie einander anvertrauen?

Es ist dies keine Fußnote in der Bibel. Der Gekreuzigte zeigt, worin die Heilung unserer Wunden besteht: in der Liebe, die größer nicht sein kann, als wenn Gott selbst sein Leben hingibt für uns.

Wir bringen heute am Karfreitag unsere Wunden mit. Die körperlichen Leiden einer angeschlagenen Gesundheit, den Liebeskummer und die Verletzungen in unseren Beziehungen, das Leid unserer Erde, die Not der Menschen in den Kriegsgebieten.

Der am Kreuz kennt unsere Wunden.

Mehr noch: er trägt sie mit uns.

„Durch seine Wunden sind wir geheilt“ (1 Petr 2,24). Gewiss fragen wir uns, ob Gott keinen anderen Weg hatte, die Welt zu heilen und uns zu erlösen als diesen grausamen Tod seines Sohnes am Kreuz. Gewiss hatte er viele Wege, aber er ging den Weg der Liebe. Er ging den Weg, unsere Wunden auszuhalten und Gewalt in Liebe zu verwandeln. Jesus weicht der Wunde der Menschheit nicht aus, stattdessen macht er sie zu seiner Wunde und hält sie aus. Da fühle ich mich im Tiefsten ernst genommen. Ich spüre die Sympathie, die in dieser kleinen Szene am Kreuz liegt, wo Jesus auf seine Mutter und den Freund Johannes schaut und sie einander anvertraut.

Es ist wie ein Stein, der ins Wasser fällt und Kreise zieht. Diese Bewegung vom Kreuz herab soll weitergehen. Die Bewegung der Sympathie, des Mitfühlens und Mittragens.

Vielleicht wird unsere Welt ein Stück besser und heiler, wenn wir aus dem Modus des Klagens und Anklagens herausfinden in den Modus des Mitfühlens und Mittragens. Ein Anfang mag darin liegen, dass wir in den Großen Fürbitten heute am Karfreitag unsere Wunden und die Wunden der Welt vor Gott bringen. Wir bitten den gekreuzigten Jesus, uns zu helfen, unsere Charismen neu zu entdecken und zu leben: die Charismen des Mitdenkens, Mitleidens, Mitfühlens und Mittragens.

Amen.

Anbei ein Einblick in die heutige Karfreitagsliturgie mit Pater Dr. Peter Uzor in St. Otto Ebersdorf bei Coburg:

 

Foto: Thorsten Kosian