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Philosoph Holm Tetens: „Hinweise auf Gott findet nur der, der ernsthaft nach Gott fragt“

„Heute sind die meisten Philosophen Atheisten.“ Mit diesen Worten leitete das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) eine Diskussionssendung zur Gretchenfrage ein. Die Zeitung „Der Tagesspiegel“ warf im April 2018 in einem Artikel gar die Frage auf, ob das Studienfach Theologie, die wörtlich übersetzt „vernünftige Rede von Gott“ heißt, heutzutage überhaupt noch an die Universitäten gehöre. Hintergrund solcher Aussagen ist nach Ansicht des Berliner Philosophen und Wissenschaftstheoretikers Prof. Dr. Holm Tetens, dass der Naturalismus zum vorherrschenden Weltbild und auch zum wissenschaftlichen Mainstream wurde und demzufolge Auseinandersetzungen mit der Gottesfrage an den Rand gedrängt worden seien. Dies hält der ehemalige Atheist heute für zu kurz gedacht.

Schwerpunkte der Arbeit von Holm Tetens sind neben der Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsgeschichte die Philosophie des Geistes sowie Logik und Argumentationstheorie. Als ehemals atheistischer Philosoph wurde er im Laufe der Zeit und des Nachdenkens religiös und setzt sich heute sehr klug mit dem Atheismus auseinander. Früher vertrat der heute 74-Jährige häufig eine naturalistische Auffassung des Geistes und eine tendenziell antirealistische Erkenntnistheorie und bezeichnete sich selbst als Atheist. In seiner Monographie „Gott denken“ von 2015 argumentierte er dann aber, dass es vernünftige Gründe gebe, die Möglichkeit eines persönlichen Gottes anzunehmen und sein Leben darauf auszurichten. Dieses Buch sei der Versuch, den Glauben rational zu überdenken, kündigte Tetens in der Beschreibung zum Buch an. Dabei kommt er zu folgendem Fazit:

„Es wird erst dann um die Philosophie besser bestellt sein als gegenwärtig, wenn Philosophen mindestens so gründlich, so hartnäckig und so scharfsinnig über den Satz ›Wir Menschen sind Geschöpfe des gerechten und gnädigen Gottes, der vorbehaltlos unser Heil will‹ und seine Konsequenzen nachdenken, wie Philosophen zurzeit pausenlos über den Satz und seine Konsequenzen nachzudenken bereit sind: ›Wir Menschen sind nichts anderes als ein Stück hochkompliziert organisierter Materie in einer rein materiellen Welt‹.“

Der Deutschlandfunk berichtete im Jahr 2016 folgendermaßen über den Philosophen Holm Tetens, nachdem dieser den Gottesglauben neu für sich entdeckt hatte: ‚Der Berliner Philosoph Holm Tetens kommt von der Mathematik, der strengen Logik des Denkens. Doch im Gegensatz zur Mehrzahl seiner Kollegen hat Holm Tetens überhaupt kein Problem, der größten Unerklärlichkeit unseres Daseins – nämlich Gott – als gläubiger Christ auf die Spur zu kommen. In seiner Philosophie begegnen sich rationale Vernunft und Gottvertrauen.‘

 

Im Rahmen der Reihe „Die Philosophische Predigt“ in der Berliner Jesuitenkirche St. Canisius legte Holm Tetens, der bis 2015 an der Freien Universität Berlin die Fächer Logik und Wissenschaftstheorie lehrte, sehr einleuchtend am 06.12.2020 dar, wie es durch die ernsthafte Auseinandersetzung mit Gott zum Perspektivwechsel in seinem Denken kam.

Mit Blick auf den Römerbrief 1, 19-20, wo der Apostel Paulus darlegt, dass sich mit der Vernunft die unsichtbare Wirklichkeit Gottes an Gottes sichtbaren Werken der Schöpfung wahrnehmen lässt, stellt Holm Tetens im Verlauf seiner Predigt die Sichtweise des französischen Mathematikers und Physikers Laplace gegenüber, der schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts verkündete, dass es die Hypothese Gott in den Wissenschaften nicht braucht.

Tetens erklärt, dass sich die Naturwissenschaften „mit der sichtbaren, der erfahrbaren Wirklichkeit“ beschäftigen, in deren Beschreibung Gott nicht vorkommt. „Die wissenschaftliche Vernunft“ setze sich mit Naturgesetzen auseinander, „die sich mathematisch beschreiben und technisch anwenden lassen“. Dazu betont Tetens:

„Man spricht vom methodischen Atheismus der Wissenschaften. Es gehört zur Methode, zur Vorgehensweise der Wissenschaften, nichts mit dem Wirken Gottes zu erklären.“

Doch ist diese Erkenntnis bereits das Ende vom Lied und kommt es nicht zu einem Kategorienfehler, wenn aus den Naturwissenschaften, die nicht nach Gott, sondern nach Naturgesetzen suchen, Aussagen über die Evidenz Gottes (wie es etwa der englische Philosoph und Atheist Bertrand Russell tat) gemacht werden? Nüchtern stellt Holm Tetens in seiner Predigt diesbezüglich fest:

„Ist es verwunderlich, dass die Wissenschaften, die erklärtermaßen nicht nach Gott suchen, in der Gottesfrage leer ausgehen?“

Ähnlich wie der Astrophysiker Harald Lesch, der einmal erklärte: „Die Naturwissenschaften sind gott-frei, aber nicht gott-los“, erkennt Holm Tetens, dass die Schlussfolgerung Russels und anderer Atheisten, dass es aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnis, die methodisch gott-frei ist, keinen Gott geben kann, „allen Regeln solider Logik“ nicht standhalte. Die Wissenschaft beweise eben nicht, „dass es Gott nicht gibt oder es ihn sehr wahrscheinlich nicht gibt“. Dazu betont der Berliner Philosoph:

„Die Wissenschaft lehrt uns in Bezug auf die Gottesfrage nur Eines: Wer wie die Naturwissenschaften nicht nach Gott sucht, findet in der Welt auch keinen Hinweis auf Gott. Daraus folgt nach allen Regeln der Logik nicht, dass es Gott nicht gibt. Vielmehr folgt daraus vernünftiger Weise nur: Hinweise auf Gott findet nur der, der ernsthaft nach Gott fragt und sucht.“

Holm Tetens legte anschließend ausführlich dar, warum die Maxime von Laplace zu kurz greift und mit der Sicht des Gründer des Jesuitenordens, Ignatius von Loyola, in allen Dingen Gott zu suchen und zu finden, sich die Welt „auf einmal noch ganz anders und verblüffend“ begreifen ließe.

„Unter dem Gedanken, dass Gott diese Welt geschaffen hat und er es mit der Welt und dem Menschen unbedingt gut meint“, kommt Tetens zum dem Schluss:

„Der Erfolg der Wissenschaften ist im Gegenteil ein überaus wichtiger Hinweis auf die Wirklichkeit Gottes.“

Mit der Maxime des Ignatius ließen sich die Naturgesetze sowie Verstand und Vernunft „als Gaben und Geschenke Gottes“ erklären, „die es uns ermöglichen, uns an der Gestaltung der Welt zum Guten hin zu beteiligen“, führte Holm Tetens weiter aus. Abschließend resümierte er:

„Es ist schon so, wie Paulus sagt: Mit Vernunft lässt sich die unsichtbare Wirklichkeit Gottes durchaus an Gottes sichtbaren Werken der Schöpfung wahrnehmen, und zu diesen sichtbaren Werken Gottes gehören allemal die Naturgesetze, der menschliche Verstand und die Vernunft. Man muss nur ernsthaft und im Einklang mit den Regeln des Verstandes und der Vernunft nach Gott suchen.“

 

Die Ansicht, dass die Suche nach Gott dazu führt, dass Menschen sich an der Gestaltung der Welt zum Guten hin beteiligen, brachte kürzlich auch der Astrophysiker Prof. Dr. Harald Lesch in der sehr sehenswerten Terra-X-Sendung „Gibt es Gott?“ zum Ausdruck, indem er am Ende der Sendung folgendes Resümee zog:

„Die Gretchenfrage ‚Wie hältst du es mit Gott?‘ oder ‚Wie hältst du es mit der Religion?‘ ist doch für jeden und jede von uns eine Entscheidungsfrage. Wir können uns entscheiden, so zu leben, als ob es Gott gäbe. Oder eben nicht. Aber die Wirkung, die könnte ja gewaltig sein. Wenn ich zum Beispiel an die große Herausforderung denke, die Schöpfung zu bewahren, da ist doch der religiöse Ansatz viel wirkungsvoller als zu sagen ‚Das Ganze ist nur eine zufällige Fluktuation des Quantenvakuums‘.“

 

Für Prof. Dr. Holm Tetens ist heute klar, worauf seine Hoffnung beruht, aus der heraus er sein Leben gestaltet. In seinem Buch „Gott denken“ beschreibt er Gott nicht nur als Schöpfer, sondern auch als Gott, auf den man hoffen kann. Im Interview mit Herder Korrespondenz, in dem er ausführlich über die Vernünftigkeit des Gottesbegriffs und über die Erklärungsnöte einer naturalistischen Weltanschauung sprach, erklärte der Berliner Philosoph, was die Hoffnung auf einen Gott, der das Heil der Menschen will, ausmacht. Dazu sagte er:

„Vor allen Dingen ist zu hoffen, dass die Verbrechen, die den Weg der Menschheit säumen, in der Perspektive der Opfer nicht das letzte Wort in der Sache sind. Darüber sollte man intensiv philosophisch nachdenken. Heute meinen wir ja oft, der Gottesgedanke verdanke sich einer Art Wunschdenken und sei tendenziell deshalb schon falsch. Ich glaube aber, dass sich gerade in dem unverschämten Optimismus der Erlösungshoffnung die Stärke des Gottesgedankens erweist.“

Quellen: sanktcanisius.de, wikipedia.org, deutschlandfunk.de, tagesspiegel.de, srf.ch, reclam.de, herder.de

Hinweis: Die Predigt von Holm Tetens im Rahmen der Reihe „Die Philosophische Predigt“ in der Berliner Jesuitenkirche St. Canisius am 06.12.2020 gibt es unter folgendem Link:

sanktcanisius.de

Anbei eine Darlegung von Prof. Dr. Holm Tetens über Vernunft und Glauben: