Soziologe Detlef Pollack: „Eine Gesellschaft ohne Kirche ist ärmer“
Der Soziologe Detlef Pollack, der in der DDR nicht religiös erzogen wurde, bezeichnet sich heute als nicht-gläubigen Kirchenchristen (wir berichteten). Im Interview mit der wochentaz erklärte der 68-Jährige aktuell, dass er den zunehmenden Bedeutungsverlust der Kirchen in der Gesellschaft mit Wehmut verfolgt.
Nach einer aktuellen Market-Umfrage, die „Der Standard“ beim Market-Institut in Auftrag gab, glauben nur noch 16 Prozent der Österreicher an die Weihnachtsbotschaft, dass sich Gott in Jesus Christus gezeigt hat. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass der Glaube an Jesus Christus und ehrenamtliches Engagement deutlich korrelieren.
Auch der Religionssoziologe Detlef Pollack erklärt aktuell im taz-Interview, dass der christliche Glauben in Deutschland „in den letzten 60, 70 Jahren dramatisch zurückgegangen“ sei, was er persönlich sehr bedauert. Im Sommer 2023 hatte Pollack im Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ berichtet, dass er in der DDR nicht religiös erzogen wurde und in seinem Elternhaus Kirche ‚einfach keine Rolle‘ spielte. Trotz Interesse am und großer Wertschätzung für den christlichen Glauben führte dies aber nicht dazu, dass er selbst gläubig wurde. Im Zeit-Interview erklärte er sich seine anhaltende Skepsis damit, dass er als Kind das Angebot des Glaubens an Gott nicht erhalten hatte (wir berichteten). Zur Bedeutung des christlichen Glaubens in seinem Leben sagte der Soziologe:
„Ich bin ein Kirchenchrist. Es ist bitter, zu sehen, was da gerade passiert. Was da an geistlichem Leben und Kultur verloren geht.“
Auch im aktuellen Interview mit wochentaz, in dem er abermals die Gretchenfrage mit Nein beantwortete und von seinem Aufwachsen im nicht-gläubigen Umfeld berichtete, betonte Pollack den Prozess der Entkirchlichung. Dabei schilderte er als eine der Ursachen dafür:
„Die vielen Verwirklichungsmöglichkeiten, die unsere Gesellschaft in der Freizeit, aber auch im Beruf bietet, ziehen von der Konzentration auf das Wort Gottes ab.“
Zudem falle es in unserer Gesellschaft vielen Menschen schwer, „sich Gott als Person vorzustellen“, so der Religionssoziologe.
Diese Entwicklung lässt Pollack, der sich in der Zeit als Internatsschüler des Thomanerchors in Leipzig neben Naturwissenschaften auch für die Christenlehre begeistern konnte, nicht kalt. Die Welt des Christentums sei „eine schöne und große Welt“ und es bedrücke ihn mit anzusehen, „mit welcher Herzlosigkeit man teilweise auf dieses Erbe schaut“, betonet Pollack gegenüber wochentaz.
Darauf angesprochen, dass im Mittelpunkt der medialen Berichterstattung über die Kirche die Missbräuche stehen, gab der 68-Jährige zu bedenken, dass er den Machtmissbrauch und die sexualisierte Gewalt „nicht kleinreden“ wolle, dass aber auch gesehen werden muss, dass man in der Kirche lernen kann, „auf neue Weise, auf eine nicht alltägliche Weise auf das Leben zu schauen“. Dabei hebt Pollack hervor, dass Kirche Horizonte eröffnet, Trost und Hoffnung gibt und einen Weg aufzeigt, „auch mit den Widrigkeiten des Lebens umgehen zu lernen, oder auch einfach einmal loszulassen“. Darauf blickend resümiert er:
„Die Kirchen tragen einen reichen Schatz an Lebensweisheiten und Lebenserfahrungen in sich.“
Danach gefragt, wie eine Gesellschaft ohne Kirche seiner Meinung nach aussähe, erklärt Detlef Pollack:
„Eine Gesellschaft ohne Kirche ist ärmer.“
Dies begründend verwies er u.a. auf den Erlebnis- und Erfahrungsraum in Kirchen sowie auch auf den „erbarmungsvolle[n] Blick auf unser armseliges Leben“, den Kirche beinhaltet.
Über seinen persönlichen Glauben ließ Detlef Pollack wissen, dass er von der Passionsgeschichte bis heute ergriffen ist. Die hoheitliche Darstellung Jesu in der Passion, der Hohn und Spott seiner Peiniger, den Jesus wortlos erträgt, oder der Ausruf des Pilatus „Seht, welch ein Mensch!“ sind Elemente der Passion, die ihn bewegen.
Dass die Erziehung seiner Kinder das Angebot des Glaubens beinhaltete, begründet Detlef Pollack, der nach Angaben der wochentaz mit einer sehr christlich orientierten Frau verheiratet ist, wie folgt:
„Ich wollte so die Tür offen halten für Gott. Man kann es halt nicht wissen. Vielleicht gibt es ihn ja doch.“
Quellen: taz.de, derstandard.de, katholisch.at, zeit.de